Der kürzeste Schatten: Nietzsches Philosophie der Zwei
Aus dem Englischen von Florian Cziesla
In ihrer Auseinandersetzung mit diesen Fragen wendet sich Alenka Zupančič in Der Kürzeste Schatten gegen eine Tendenz, Nietzsche als Philosophen zu begreifen, der »seiner Zeit voraus« war und dessen Zeit endlich gekommen sei – eine Auffassung, die Gefahr läuft, die Außerordentlichkeit von Nietzsches Aussagen auf den Status bloßer Meinungen zu reduzieren, die man sodann teilen oder zurückweisen kann. Vielmehr liegt die singuläre Sprengkraft seiner Philosophie im Unzeitgemäßen nicht nur gegenüber seiner, sondern genau genommen jeder Zeit.
Anhand zweier Aspekte von Nietzsches Philosophie untersucht Zupančič dieses Denken, das die einzige Stütze in seinem »eignen Credit« findet.
Das Kapitel »Nietzsche als Metapsychologe« widmet sich in gegenwartsdiagnostischer Absicht ausgehend von Nietzsches Erklärung »Gott ist todt« dem Phänomen des Nihilismus sowie dem Konzept des asketischen Ideals, die zum Denken unserer hedonistischen postmodernen Gesellschaften gehört.
Der »grosse Mittag« und die Beziehung dieses denkwürdigen Sinnbilds zu Nietzsches Wahrheitsbegriffs bilden das Zentrum des zweiten Kapitels. Der Mittag ist nicht der Moment, in dem alle Schatten verschwinden, es ist die Zeit des »kürzesten Schattens«. Er markiert nicht die Einheit aller Dinge im vollen Licht der Sonne, sondern den Augenblick der Spaltung, in dem »Eins zu Zwei« wird. So ist es die Zwei, die Idee einer minimalen – und irreduziblen – Differenz des Selben, die Zupančič zufolge Nietzsches Werk durchzieht und die Quelle einer unablässigen, inhärenten Spannung bildet.